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#135 Theistische Argumente aus Feinabstimmung, Moral und religiöser Erfahrung

May 06, 2015
Q

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich habe einige einfache Fragen an Sie. Doch vorweg: Ich bin kein Christ mehr, sondern eher ein Agnostiker. Ich habe Ihre Argumente für die Existenz Gottes gehört und bin ziemlich beeindruckt. Doch bei einigen Ihrer Argumente habe ich Probleme, sie anzunehmen. Das sind das Argument aus der Feinabstimmung, das Moral-Argument, sowie die Erkenntnis Gottes durch persönliche Erfahrung. Ich habe nur je einen Einwand gegen diese Argumente und fragte mich, wie Ihre Antwort darauf lautet.

Feinabstimmung: Dieses Argument basiert (nach meinem Verständnis) auf der Annahme, dass Leben nur unter den Bedingungen unseres Universums entstehen kann, und berücksichtigt nur das Leben, wie wir es kennen. Ist es nicht möglich, dass Leben unter anderen physikalischen Konstanten entstehen kann? Wenn ja, wäre die Feinabstimmung unseres Universums dann nicht irrelevant für die Frage nach Gottes Existenz?

Moral-Argument: Sie behaupten, vereinfacht gesagt, dass objektive Moral durch Gott entsteht. Ist es nicht genauso plausibel, Moral als etwas zu betrachten, das durch den frühen Homo sapiens und die Entwicklung verschiedener Gesellschaften und Zivilisationen entstand und sich durch die Anforderungen des Lebens in diesen Gesellschaften entwickelte? Könnte Moral nicht auf natürliche Weise entstanden sein, weil eine Gesellschaft die Anpassung an ihre Normen verlangt?

Persönliche Erfahrung: Die Fähigkeit, Gott durch persönliche Erfahrung zu erkennen, ist etwas, das schwer zu akzeptieren ist. Das Gehirn kann erstaunliche Dinge tun und uns vielfältige Dinge empfinden lassen. Menschen, die an einer Psychose leiden, sehen Dinge, die nicht wirklich da sind, fühlen sich, als wären sie selbst Jesus, und haben andere ungewöhnliche Wahnvorstellungen. Könnten diejenigen von uns, die nicht an irgendeiner Art von Psychose leiden, sich nicht genauso gut veranlassen, Dinge zu fühlen, von denen wir meinen, dass wir sie fühlen sollten? Diese Stimme in unseren Köpfen, die uns sagt, dass wir den Müll wegbringen sollten, wenn die Ehefrau es uns aufträgt; könnte das nicht einfach unsere eigene Stimme sein, statt eines inneren Impulses von Gott?

Ich weiß, dass ich kein formales Argument präsentiert habe, aber das sind einfach Fragen, die ich zu Ihren Prämissen habe, auf denen Ihre Schlussfolgerung beruht, dass Gott existiert. Danke für die Zeit, die Sie sich nehmen.

Nathan

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Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Theistische Argumente

Ich habe Ihre Frage gewählt, Nathan, weil ich tatsächlich denke, dass ich Ihnen helfen kann. Meine Hoffnung ist, dass Sie zum Herrn zurückkehren, der sich genauso danach sehnt, Sie wieder willkommen zu heißen, wie der Vater in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, das Jesus erzählte.

Theistische Argumente – das Argument aufgrund der Feinabstimmung

1. Feinabstimmung . Ihr Verständnis des Arguments ist nicht korrekt; siehe meine Darlegung des Arguments in Reasonable Faith (3. Auflage). Wenn Wissenschaftler davon sprechen, dass ein Universum Leben erlaubt, sprechen sie nicht nur von gegenwärtigen Lebensformen. Mit „Leben“ meinen Wissenschaftler einfach die Eigenschaft von Organismen, Nahrung aufzunehmen, daraus Energie zu gewinnen, zu wachsen, sich an ihre Umgebung anzupassen und sich zu vermehren. Alles, was diese Funktionen erfüllen kann, gilt als Leben. Und der Punkt ist: Damit so definiertes Leben existieren kann, in welcher Form auch immer, müssen die Konstanten und Quantitäten des Universums unglaublich feinabgestimmt sein. Nun meinen Sie, dass sich vielleicht andere Lebensformen entwickelt hätten, wenn die Konstanten und Quantitäten andere Werte gehabt hätten. Aber Sie unterschätzen die wahrlich katastrophalen Konsequenzen einer Änderung in den Werten dieser Konstanten und Quantitäten. Ohne die Feinabstimmung würde nicht einmal die Materie, nicht einmal die Chemie, existieren, ganz zu schweigen von Planeten, auf denen sich Leben entwickeln könnte.

Nun könnte jemand denken: „Aber vielleicht würden in einem Universum, das anderen Naturgesetzen unterliegt, keine solchen katastrophalen Konsequenzen auftreten.“ Aber dieser Einwand lässt ebenfalls ein Missverständnis des Arguments erkennen. Wir haben es nicht mit Universen zu tun, die anderen Naturgesetzen unterliegen. Wir haben keine Vorstellung, wie solche Universen sein könnten! Wir befassen uns vielmehr ausschließlich mit Universen, die denselben Naturgesetzen unterliegen, aber andere Werte der Konstanten und zufälligen Quantitäten haben. Der Philosoph John Leslie gibt dazu die folgende Illustration: Stellen wir uns eine einzelne Fliege vor, die auf einem großen leeren Bereich der Wand sitzt. Ein einziger Schuss wird abgefeuert, und die Kugel trifft die Fliege. Selbst wenn nun der Rest der Wand außerhalb des freien Bereichs von Fliegen übersät wäre, sodass eine willkürlich abgefeuerte Kugel wahrscheinlich eine davon treffen würde, bliebe es nichtsdestoweniger sehr unwahrscheinlich, dass eine einzelne, willkürlich abgefeuerte Kugel die einzelne Fliege in dem großen, leeren Bereich treffen würde.

Genauso müssen wir uns nur mit Universen beschäftigen, die denselben Naturgesetzen unterliegen, um zu bestimmen, wie wahrscheinlich es ist, dass eines davon Leben erlauben könnte. Da die Gesetze dieselben sind, können wir ermitteln, was geschehen würde, wenn die Konstanten und Quantitäten geändert würden. Und die Resultate erweisen sich als katastrophal. Ein Universum, das Leben erlaubt, gleicht dieser einzelnen Fliege auf der Wand.

Theistische Argumente – das Argument aufgrund der Moral

2. Moral . Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Es kommt ganz darauf an! Wenn Gott nicht existiert, dann – wie ich argumentiert habe – sind moralische Werte genau das, was Sie sagen: bloße Nebenprodukte der biologischen und sozialen Evolution. Aber wenn Gott existiert, sind sie das nicht. Denn die Wahrheit einer Überzeugung hängt nicht davon ab, wie man zu dieser Überzeugung gelangt ist. Vielleicht hat man seine moralischen Überzeugungen durch einen Glückskeks erworben oder indem man aus dem Kaffeesatz gelesen hat, und sie könnten trotzdem wahr sein. Insbesondere gilt: Wenn Gott existiert, dann existieren objektive moralische Werte und Pflichten, unabhängig davon, wie wir davon erfahren haben. Die sozio-biologische Erklärung beweist bestenfalls, dass unsere Wahrnehmung moralischer Werte und Pflichten sich entwickelt hat. Aber wenn moralische Werte graduell entdeckt und nicht erfunden werden, dann untergräbt unsere graduelle und fehlbare Wahrnehmung dieser Werte ihre objektive Realität genauso wenig, wie unsere graduelle, fehlbare Wahrnehmung der physikalischen Welt deren objektive Realität untergräbt.

Die eigentliche Frage ist also: Denken Sie, dass es eine objektive Unterscheidung zwischen gut und böse, zwischen richtig und falsch gibt? Ich bin sicher, das tun Sie. Philosophen, die über unsere moralische Erfahrung nachdenken, denken dass es genauso wenig Gründe gibt, dieser moralischen Erfahrung zu misstrauen, wie der Erfahrung unserer fünf Sinne zu misstrauen. Ich glaube, was meine fünf Sinne mir sagen; dass es da eine Welt physischer Objekte gibt. In ähnlicher Weise sollte ich, in Abwesenheit irgendeines Grundes, meiner moralischen Erfahrung zu misstrauen, das akzeptieren, was sie mir sagen: dass manche Dinge objektiv gut oder böse, richtig oder falsch sind.

Theistische Argumente – das Argument aufgrund von Erfahrung

3. Persönliche Erfahrung. Die bloße Möglichkeit einer psychologischen Täuschung stellt noch keinen Grund dar zu denken, dass die eigene Erfahrung tatsächlich täuscht. Sonst müssten wir der Welt physischer Objekte, die wir um uns her erfahren, skeptisch begegnen. Denn das, was Sie über die Gotteserfahrung sagen, kann man auch über sensorische Erfahrungen der Welt sagen. Könnten Sie nicht ein Gehirn in einem Gefäß voller Chemikalien sein, das mit Elektroden versehen ist und von einem verrückten Wissenschaftler dazu stimuliert wird zu glauben, dass die Welt um Sie her real ist? Könnten Sie nicht ein Körper sein, der in einer Matrix liegt und dazu veranlasst wird, ohne es zu merken in einer virtuellen Wirklichkeit zu leben? Ihre Erfahrung wäre in solchen Fällen nicht qualitativ anders als Ihre gegenwärtige Erfahrung.

Aber lässt diese Möglichkeit Sie an der wahrheitsgemäßen Wahrnehmung Ihrer Sinne zweifeln, geschweige denn den Verdacht hegen, Sie wären in Wirklichkeit ein Gehirn in einem Gefäß oder ein Körper in der Matrix? Natürlich nicht! Denn es ist rational, die Informationen als zuverlässig anzusehen, die Ihre Sinne liefern, sofern Sie nicht einen guten Grund haben zu denken, dass Ihre Sinne Sie täuschen. In ähnlicher Weise ist es in Abwesenheit irgendeines Grundes, meine Gotteserfahrung für eine Täuschung zu halten, völlig rational, diese als wahrheitsgemäß anzunehmen. Natürlich versuchten Menschen wie Freud zu zeigen, dass der Glaube an Gott das Ergebnis einer neurotischen Projektion ist, aber ihre psychologischen Analysen haben der näheren Untersuchung nicht standgehalten. Sie erkennen an, dass Christen nicht psychotisch oder geistesgestört sind. Warum also sollte ich denken, dass ich einer Täuschung unterliege?

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/theist-arguments

- William Lane Craig