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#1 Richard Dawkins’ Argument für Atheismus in “Der Gotteswahn”

May 06, 2015
Q

Wie schätzen Sie das Hauptargument von Richard Dawkins für den Atheismus im Buch “Der Gotteswahn” ein?

(anonyme Frage, ohne Angabe des Landes)

  • - country not specified

Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

In Kapitel 4 von “Der Gotteswahn” fasst Richard Dawkins die – wie er es nennt – “zentrale Argumentation seines Buches” zusammen. [In der deutschen Ausgabe (Ullstein 2007) findet sie sich auf S. 265f]. Sie lautet wie folgt:

"1. Eine der größten Herausforderungen für den menschlichen Geist war lange Zeit die Frage, wie im Universum der Anschein komplexer, unwahrscheinlicher Gestaltung (Design) entstehen konnte.

2. Es ist eine natürliche Versuchung, den Anschein von Gestaltung auf tatsächliche Gestaltung zurückzuführen.

3. Diese Versuchung führt in die Irre, denn die Gestalterhypothese (Designerhypothese) wirft sofort die umfassendere Frage auf, wer den Gestalter gestaltet hat.

4. Die genialste und leistungsfähigste Erklärung für den Anschein von Design im Bereich der Biologie ist die darwinistische Evolution durch natürliche Selektion.

5. Eine entsprechende Erklärung für die Physik kennen wir nicht.

6. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch in der Physik noch eine bessere Erklärung gefunden wird, die ebenso leistungsfähig ist wie der Darwinismus in der Biologie.

Daher existiert Gott mit ziemlicher Sicherheit nicht."

Zunächst mal knirscht dieses Argument, denn die atheistische Schlussfolgerung „Daher existiert Gott mit ziemlicher Sicherheit nicht“ scheint plötzlich aus heiterem Himmel zu kommen. Man muss kein Philosoph sein, um zu merken, dass dieser Schluss nicht aus den sechs vorangehenden Aussagen folgt.

Wenn wir diese sechs Aussagen als Prämissen eines Argumentes auffassen, aus welchen der Schluss folgen soll, „Daher existiert Gott mit ziemlicher Sicherheit nicht“, dann ist das Argument offensichtlich logisch ungültig. Es gibt keine logischen Schlussregeln, die es erlauben würden, aus diesen sechs Aussagen diese Schlussfolgerung zu ziehen.

Wenn man es etwas wohlwollender interpretiert, kann man diese sechs Aussagen statt als Prämissen, als zusammenfassende Aussagen von sechs Schritten in Dawkins’ kumulativer Begründung für seine Schlussfolgerung, dass Gott nicht existiere, auffassen. Aber selbst bei dieser wohwollenden Interpretation folgt der Schluss “Daher existiert Gott mit ziemlicher Sicherheit nicht” nicht aus den sechs Schritten, selbst wenn wir einräumen würden, dass jeder von ihnen – für sich genommen - wahr und berechtigt wäre.

Was folgt denn aus den sechs Schritten von Dawkins’ Argument? Allerhöchstens folgt daraus, dass wir aus dem Anschein von Design im Universum nicht auf Gottes Existenz schließen sollten. Aber dieser Schluss ist gut mit Gottes Existenz vereinbar und sogar damit, dass man berechtigterweise an Gottes Existenz glaubt. Vielleicht sollten wir auf Grundlage des kosmologischen Arguments oder des ontologischen Arguments oder des moralischen Arguments an Gott glauben. Vielleicht gründet unser Glaube gar nicht auf Argumenten, sondern auf religiöse Erfahrungen oder auf göttliche Offenbarung. Vielleicht möchte Gott, dass wir ihm einfach glaubend vertrauen. Der Punkt ist, dass die Ablehnung von Design-Argumenten für Gottes Existenz nichts zum Beweis der These beiträgt, dass Gott nicht existiere, und noch nicht mal dafür, dass der Glaube an Gott nicht gerechtfertigt ist. Ja, viele christliche Theologen haben Argumente für die Existenz Gottes abgelehnt, ohne deshalb Atheisten zu werden.

Also ist Dawkins’ Argument für Atheismus ein Fehlschlag, selbst wenn wir – nur um auf dieses Argument einzugehen – einräumten, dass alle Schritte für sich betrachtet korrekt sind. Aber tatsächlich sind mehrere der Schritte eindeutig falsch. Nehmen wir zum Beispiel Schritt (3). Dawkins behauptet hier, dass man nicht gerechtfertigt ist, auf Design (intelligente Planung) als die beste Erklärung für die komplexe Ordnung des Universums zu schließen, denn dann würde sich ein weiteres Problem ergeben: Wer hat den Designer gemacht?

Dieser Einwand ist mindestens in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Erstens, um eine Erklärung als die beste erkennen zu können, braucht man nicht eine Erklärung der Erklärung. Dies ist ein ganz grundlegender Aspekt von Schlüssen auf die beste Erklärung, wie sie in der Wissenschaftstheorie verwendet werden. Wenn Archäologen in der Erde graben und dort z.B. Dinge finden, die wie Pfeilspitzen, Axtkeile und Tonscherben aussehen, wären sie in dem Schluss gerechtfertigt, dass diese nicht ein Zufallsprodukt aus Sedimentation und Metamorphose (zufälliger Veränderung der Gestalt im zeitlichen Ablauf) sind, sondern Erzeugnisse einer unbekannten Gruppe von Menschen, auch wenn sie keine Erklärung dafür haben, wer diese Menschen waren oder wo sie herkamen.

Wenn Astronauten auf der abgelegenen Seite des Mondes einen Haufen von Maschinen fänden, wären sie in ähnlicher Weise gerechtfertigt in dem Schluss, dass diese von intelligenten, außerirdischen Wesen stammen, selbst wenn sie überhaupt keine Ahnung hätten, wer diese außerirdischen Wesen waren oder wie sie dort hingekommen sind. Um eine Erklärung als die beste erkennen zu können, ist es nicht notwendig, eine Erklärung für die Erklärung liefern zu können. Wenn man das fordern würde, würde das zu einem unendlichen Regress an Erklärungen führen (man bräuchte dann eine Erklärung der Erklärung der Erklärung etc.). Nichts könnte jemals erklärt werden, und das würde die Wissenschaft zerstören. Um in diesem Fall erkennen zu können, dass intelligente Planung bzw. Design die beste Erklärung für den Anschein von Design im Universum ist, muss man nicht in der Lage sein, den Designer zu erklären.

Zweitens ist Dawkins der Auffassung, dass im Falle eines göttlichen Gestalters des Universums der Designer genauso komplex ist wie der Gegenstand, der zu erklären ist (das Universum), sodass keinerlei Fortschritt in der Erklärung erzielt worden ist. Dieser Einwand wirft eine Reihe von Fragen auf über die Rolle, die Einfachheit für die Einschätzung von konkurrierenden Erklärungen hat; zum Beispiel, wie Einfachheit zu gewichten ist im Vergleich mit anderen Kriterien wie Aussagekraft, Reichweite der Erklärung etc. Aber lassen wir diese Fragen beiseite. Dawkins' grundlegender Fehler liegt in seiner Annahme, dass ein göttlicher Designer ein Wesen ist, das in Komplexität mit dem Universum vergleichbar ist. Als ein körperloser Geist ist Gott aber ein bemerkenswert einfaches Wesen. Als ein nicht-physikalisches Wesen ist ein Geist nicht aus Teilen zusammengesetzt, und seine hervorstechenden Merkmale wie Selbst-Bewusstsein, Rationalität und Wille gehören essentiell zu ihm.

Im Gegensatz zum kontingenten und vielfältig gestalteten Universum mit all seinen unerklärbaren Quantitäten und Konstanten ist ein göttlicher Geist verblüffend einfach. Sicherlich könnte so ein Geist komplexe Gedanken haben - er könnte z.B. über Infinitesimalrechnung nachdenken - aber der Geist selber ist ein bemerkenswert einfaches Gebilde. Dawkins hat offensichtlich die Gedanken eines Geistes, die in der Tat komplex sein können, verwechselt mit dem Geist selber, der ein unglaublich einfaches Gebilde ist. Daher ist das Schließen auf einen göttlichen Geist als Ursache des Universums auf jeden Fall ein Fortschritt in der Erklärung, nebenbei bemerkt.

Andere Schritte im Argument von Dawkins sind ebenfalls problematisch; aber ich glaube, es wurde bislang genug gesagt, um zu zeigen, dass sein Argument nichts leistet, um den Schluss auf Design aufgrund des Anscheins von Design bzw. der Komplexität des Universums zu untergraben, ganz zu schweigen davon, dass es als Rechtfertigung für Atheismus dienen könnte. (Üb.:RN)

- William Lane Craig