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#118 Gottes Notwendigkeit

May 06, 2015
Q

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich möchte wirklich mehr über den Theismus lernen, stoße aber in Bezug auf die Notwendigkeit der Existenz Gottes auf eine intellektuelle Blockade. Ich verstehe, was es bedeutet, dass etwas in einem logischen Sinn notwendig existiert. Doch wenn Sie Gott metaphysische Notwendigkeit zuschreiben (de re Notwendigkeit), komme ich gedanklich nicht mit.

So wie ich es verstehe, wollen Sie mit der These, dass Gott im metaphysischen (de re) Sinn notwendig existiert, aussagen, dass in jeder Welt, in der Gott existiert, Gott existieren muss. Andere Gelehrte theistischer Überzeugung interpretieren denselben Punkt so, dass er besagt, dass Gottes Existenz Teil seines Wesens ist. Aber was in aller Welt bedeutet das? Wie soll ich das einer logisch notwendigen Existenz gegenüberstellen? Und wenn man davon ausgeht, dass Existenz eine Eigenschaft ist, ist es dann nicht so, dass Sie, ich und jeder andere Existenz als Teil seines Wesens hat? Schließlich scheint es plausibel zu sein, dass es keine mögliche Welt gibt, in der ich mich aufhalte und nicht existiere. Somit ist die Eigenschaft der Existenz Teil meines Wesens.

Und zuletzt: Halten Sie es für logisch möglich, dass Gott nicht existiert? Bitte erklären Sie Ihre Antwort.

Mikhal

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Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Gottes Notwendigkeit zu verstehen ist grundlegend, um zu erfassen, wer Gott ist; deshalb ist Ihre Frage eine entscheidende, Mikhal. Ich denke, dass Ihre Verwirrung vielleicht zum Teil einfach auf terminologische Verwechslungen zurückzuführen ist; versuchen wir deshalb, diese zu klären.

Wenn Philosophen von metaphysischer Notwendigkeit/Möglichkeit sprechen, denken sie an eine Modalität, die irgendwo zwischen der strikten logischen Modalität, welche die Gesetze der Logik charakterisiert, und der breiteren physikalischen Modalität, die das charakterisiert, was die Gesetze und Grenzbedingungen der Natur erlauben, anzusiedeln ist. Metaphysische Möglichkeit bezieht sich auf das, was aktualisierbar oder realisierbar ist, was tatsächlich sein kann. So würde ich zum Beispiel sagen, dass es metaphysisch möglich ist, dass ich einen Krokodilskörper haben könnte, auch wenn so etwas physisch nicht möglich ist. Es ist aber metaphysisch unmöglich, dass ich tatsächlich ein Krokodil statt ein Mensch hätte sein können.[1] Metaphysische Notwendigkeit bezieht sich auf etwas, was der Fall sein muss, auch wenn seine Verleugnung keinen Widerspruch beinhalten muss. So halte ich es zum Beispiel für metaphysisch notwendig, dass alles, was anfängt zu existieren, eine Ursache hat, auch wenn es kein logischer Widerspruch ist zu sagen, dass irgendetwas ohne eine Ursache in Existenz kam. Wenn diese metaphysische Modalität Ihnen ziemlich vage vorkommt, haben Sie Recht! Was wir für metaphysisch notwendig/möglich halten, hängt von unseren Intuitionen über solche Angelegenheiten ab.

Eine de re (lat., zu einer Sache gehören) Modalität hat mit den wesentlichen Eigenschaften einer Sache zu tun. Wenn gesagt wird, dass eine Eigenschaft zur Essenz einer Sache gehört oder für sie essentiell ist, bedeutet dies, dass die Sache ohne diese Eigenschaft nicht sie selbst bleiben könnte. Wenn eine Sache eine ihrer wesentlichen Eigenschaften verliert, dann hört diese Sache auf zu existieren. Eine Kuh hat zum Beispiel die wesentliche Eigenschaft, ein Tier zu sein. Würde sie geschlachtet und zu Hamburgern verarbeitet, würde sie aufhören, eine Kuh zu sein. Eigenschaften einer Sache, die nicht essentiell für sie sind, nennt man kontingente Eigenschaften.

Metaphysische Notwendigkeit und de re Notwendigkeit sind also nicht dasselbe. Wenn wir sagen, dass Gott metaphysisch notwendig ist, meinen wir damit, dass es unmöglich ist, dass er nicht existiert. Diese Behauptung reicht viel weiter als die Behauptung, „dass in jeder Welt, in der Gott existiert, Gott existieren muss.“ Wenn Sie darüber nachdenken, muss alles, was existiert, die Eigenschaft haben, in jeder Welt zu existieren, in der es existiert! Sie haben also Recht, dass Sie und ich und jeder andere in diesem Sinne Existenz als Teil seines Wesens hat. Die Behauptung hier ist vielmehr, dass Gott in jeder möglichen Welt existiert. Das, was Gott hat und wir nicht haben, ist also die Eigenschaft notwendiger Existenz. Und diese Eigenschaft hat er de re, als Teil seines Wesens. Gott kann ohne die Eigenschaft notwendiger Existenz nicht Gott sein. Wenn etwas die Eigenschaft notwendiger Existenz hat, kann es diese Eigenschaft natürlich nicht verlieren, denn wenn das so wäre, gäbe es eine mögliche Welt, in der notwendige Existenz ihm fehlen würde, und somit existierte es überhaupt nicht notwendig!

(Achten Sie jedoch darauf, dass wenn mittelalterliche Theologen von Existenz als etwas sprachen, das ausschließlich zu Gottes Essenz gehörte, gebrauchten sie das Wort „Essenz“ in anderer Weise. Für sie definierte die Essenz einer Sache, was diese Sache ist. Aus ihrer Sicht hat nur Gott Existenz als essentielle Eigenschaft, da jede andere Sache kontingent ist und somit nicht als etwas Existierendes definiert ist.)

Ist es nun logisch möglich, dass Gott nicht existiert? Metaphysisch ist es ja nicht möglich! Es gibt aber keinen strikten logischen Widerspruch in der Aussage „Gott existiert nicht“, so wie es keinen strikten logischen Widerspruch gibt zu sagen „Jones ist ein verheirateter Junggeselle“[2], aber beide sind nicht aktualisierbare Zustände. Es ist also metaphysisch notwendig, dass Gott existiert.

Wir haben hier den Keim des modallogischen ontologischen Arguments für Gottes Existenz. Denn wenn es möglich ist, dass Gott existiert, gibt es eine mögliche Welt, in der Gott notwendige Existenz hat. Doch dann existiert er in jeder Welt, einschließlich der unsrigen. So wird der Atheist in die unangenehme Position versetzt, sagen zu müssen, dass Gottes Existenz unmöglich ist. Es genügt nicht zu sagen, dass Gott in Wirklichkeit nicht existiert; der Atheist muss behaupten, dass es unmöglich ist, dass Gott existiert – eine viel radikalere Behauptung!

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/gods-necessity

Anmerkungen

[1] Es ist metaphysisch möglich, dass man gar keinen Körper hat oder einen Krokodilskörper bekommt. Jedoch könnte – Saul Kripke folgend (siehe sein Buch "Name und Notwendigkeit" und seine Thesen zu "necessity of true identity" und "essentiality of origin") – ein Gegenstand nicht zu einer anderen Art gehören. Wenn etwas ein Krokodil ist, ist es nicht ein Mensch. (Siehe auch den Eintrag "transworld identity" in der "Stanford Encyclopedia of Philosophy", plato.stanford.edu)
(Anm. d. Übers.)

[2] Ein strikter logischer Widerspruch wäre: "X ist A und nicht-A". (Z.B. "Der Baum ist grün und nicht-grün", oder "Jones ist Junggeselle und kein Junggeselle", oder "Jones ist verheiratet und nicht-verheiratet".)

Wenn man die Aussage "Jones ist ein verheirateter Junggeselle" in die logische Form bringt durch Ersetzen von "Jones" mit J und "verheirateter Junggeselle" mit A, dann ist die Übersetzung "J = A"; es liegt dann – formal gesehen – kein logischer Widerspruch vor.

Es wäre nur dann ein direkter logischer Widerspruch, wenn man die Aussage übersetzt mit "Jones" = J, "verheiratet" = A, "Junggeselle" = B; weil ein Junggeselle nicht verheiratet ist, wäre die Übersetzung dann J = A und nicht-A; aber diese Lesart ist nicht zwingend.

Wie W.L. Craig auch in Q&A 144 schreibt: "Das Konzept eines verheirateten Junggesellen ist strenggenommen kein Widerspruch in sich (wie das Konzept eines verheirateten unverheirateten Mannes), und doch ist offensichtlich, sobald man die Bedeutung der Wörter „verheiratet“ und „Junggeselle“ versteht, dass nichts existieren kann, was diesem Konzept entspricht."

(Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig