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#6 Die Definition von Atheismus

May 06, 2015
Q

Bei meinen Diskussionen mit Atheisten verwenden diese oft die Ausdrucksweise, dass bei ihnen "der Glaube an Gott fehlt". Sie behaupten, dass dies etwas anderes ist als nicht an Gott zu glauben, oder als zu sagen, dass Gott nicht existiert. Ich bin mir nicht sicher, wie ich hierauf antworten soll. Es scheint mir, dass es sich um ein albernes Wortspiel handelt, und dass „Abwesenheit des Glaubens“ logisch das Gleiche ist wie nicht an Gott zu glauben. Was wäre hierauf eine gute Antwort? Danke für Ihre Mühe,

Steven.

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Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Deine atheistischen Freunde haben dahingehend recht, dass es einen wichtigen logischen Unterschied dazwischen gibt, ob man glaubt, dass es keinen Gott gibt, oder nicht zu glauben, dass es einen Gott gibt. Man vergleiche die folgenden zwei Aussagen:
(1)„Ich glaube, dass es auf dem Mars kein Gold gibt.“

(2) „Ich glaube nicht, dass es auf dem Mars Gold gibt“ (bzw. "ich habe nicht die Überzeugung: 'es gibt auf dem Mars Gold'").

Wenn ich zu dem Thema keine Meinung habe, dann glaube ich nicht, dass es Gold auf dem Mars gibt, und dann glaube ich nicht, dass es kein Gold auf dem Mars gibt. Es ist ein Unterschied zu sagen: „Ich glaube (nicht-p)“ und „Ich glaube nicht (p)“. In logischer Hinsicht macht es einen großen Unterschied, wo man die Negation einbaut.

Aber wo deine atheistischen Freunde irren ist in der Behauptung, dass Atheismus nur bedeutet, nicht die Überzeugung zu haben, dass es einen Gott gibt, statt zu glauben, dass es keinen Gott gibt.

Zu dieser Frage gibt es eine Vorgeschichte. Bestimmte Atheisten vertraten in der Mitte des 20. Jahrhunderts die sogenannte „Atheismusvermutung“. Wörtlich genommen, handelt es sich dabei in etwa um die Behauptung, dass wir beim Fehlen von Indizien für die Existenz Gottes davon ausgehen sollten, dass Gott nicht existiert. Atheismus ist eine Art vorgegebene Standard-Auffassung, und der Theist trägt die spezielle Beweislast für seinen Glauben, dass Gott existiert.

So verstanden, ist diese Atheismusvermutung klar falsch. Denn die Aussage „Es gibt keinen Gott“ ist in gleicher Weise eine Behauptung wie die Aussage „Es gibt einen Gott“. Daher benötigt man für die erste Aussage ebenso eine Rechtfertigung wie für die zweite Aussage. Es ist der Agnostiker, der keinerlei Behauptungen hinsichtlich eines Wissens über Gottes Existenz macht. Er sagt von sich, dass er nicht weiß, ob es einen Gott gibt oder ob es keinen Gott gibt.

Aber wenn man näher hinsieht, wie Vertreter der Atheismusvermutung den Ausdruck „Atheist” verwenden, stellt man fest, dass sie das Wort in einer nicht üblichen Weise definieren, nämlich synonym mit „nicht-Theist“. So verstanden, würde der Begriff sowohl Agnostiker, als auch traditionelle Atheisten, als auch diejenigen umfassen, die glauben, die Frage sei sinnlos (Verifikationisten).

Wie Antony Flew bekennt, muss man das Wort „Atheist" im gegenwärtigen Kontext „auf ungewöhnliche Weise interpretieren. Heutzutage wird darunter normalerweise jemand verstanden, der die Existenz Gottes … explizit ablehnt. Aber hier soll es nicht positiv, sondern negativ verstanden werden, indem man die ursprüngliche griechische Vorsilbe "a-“ im Wort „Atheist“ in gleicher Weise versteht, wie man sie normalerweise in … Wörtern wie „amoralisch“ versteht. In dieser Interpretation ist ein Atheist nicht jemand, der in positiver Weise die Nicht-Existenz Gottes behauptet, sondern jemand, der einfach kein Theist ist“. (A Companion to Philosophy of Religion, hrsg. von Philip Quinn und Charles Taliaferro [Oxford: Blackwell, 1997], Stichwort „The Presumption of Atheism” von Antony Flew)

Solch eine Neudefinition des Wortes „Atheist” bagatellisiert die Aussage der Atheismusvermutung, denn nach dieser Definition hört der Atheismus auf, eine Sichtweise zu sein. Atheismus ist dann nur noch ein psychologischer Zustand, den Leute mit verschiedensten Sichtweisen oder auch Leute ohne jede Sichtweise gemeinsam haben. Nach dieser Definition würden sogar Babys, die zu dem Thema gar keine Meinung haben, zu den Atheisten gezählt werden! Sogar unsere Katze Muff wäre nach dieser Meinung Atheistin, da sie (soweit ich weiß) keinen Glauben an Gott hat. Um entweder wissen zu können, dass Gott existiert, oder dass er nicht existiert, wäre dann nach wie vor eine Begründung nötig, und dies ist ja die eigentliche Frage, die uns interessiert.

Vielleicht fragst du dich, warum Atheisten dann so erpicht darauf sind, ihre Sichtweise zu verharmlosen? Hier stimme ich dir zu, dass viele Atheisten eine Mogelpackung verkaufen. Wenn Atheismus als eine Sichtweise verstanden wird, nämlich die Sichtweise, dass es keinen Gott gibt, dann müssen Atheisten ihren Anteil an der Beweislast tragen, um ihre Sichtweise zu begründen. Aber viele Atheisten geben offen zu, dass sie diese Beweislast nicht tragen können. Also versuchen sie, sich vor ihrer epistemischen Verantwortung zu drücken, indem sie den Atheismus neu definieren, so dass er nicht mehr eine bestimmte Sichtweise ist, sondern nur ein psychologischer Zustand, der als solches keine Behauptungen macht. Sie sind dann eigentlich heimliche Agnostiker, die den Mantel des Atheismus tragen wollen, ohne die Verpflichtungen, die damit einhergehen, auf sich zu nehmen.

Das ist unaufrichtig, und die Frage bleibt nach wie vor offen: „Gibt es also einen Gott oder nicht?“ (Üb.:RN)

- William Lane Craig